Vorab zum Verständnis: Grundsätzlich stellen Freie Schulen eine Ergänzung zum herkömmlichen Regelschulsystem dar. Staatlich genehmigte Alternativschulen orientieren sich am Lehrplan, gehen die Wissensvermittlung jedoch in der Regel anders an als Regelschulen. Im Folgenden möchten wir euch unsere grundsätzliche Idee der Freien Naturschule Rhön vorstellen.
Aus der Individualität eines jeden Kindes ergibt sich die Notwendigkeit, ihm seinen eigenen Lernweg zuzugestehen.
Jeder Mensch ist von Geburt an einzigartig und in seiner Individualität perfekt. Schon von klein auf haben Menschen ganz individuelle Interessen und Bedürfnisse und möchten in ihrer Individualität wertgeschätzt und gesehen werden. So kann bei der Einschulung ein Kind schon lesen und schreiben, ein anderes gerade mal seinen Namen malen, dafür aber schon mit hohen Zahlen rechnen und ein drittes kann beides noch nicht, ist dafür aber handwerklich total geschickt und kann den Rasenmäher ohne Hilfe alleine reparieren.
An einer Regelschule werden diesen drei Kindern in der Regel die gleichen Inhalte und Materialien angeboten, sowohl im Fach Deutsch, als auch im Fach Mathematik sowie in allen anderen Fächern. Eine individuelle Förderung ist schon allein aufgrund der oftmals hohen Klassenstärke von 21 Schülern für einen Lehrer allein schwer möglich. Die Interessen und Bedürfnisse der einzelnen Individuen gehen unter. In der Folge kann es zu Über- und Unterforderung sowie Frustration kommen.
An der Freien Naturschule Rhön ist uns die Integrität und Individualität eines jeden Menschen wichtig – und somit steht es für uns außer Frage, dass auch das Lernen selbst so individualisiert werden sollte, dass es zum jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes passt. Aus diesem Grund wird es an unserer Schule keinen Frontalunterricht, keine Noten, keine Hausaufgaben und auch keine Jahrgangsklassen geben.
Gemeinsam Leben und Lernen an der Freien Naturschule Rhön
Wir verstehen unsere Schule als Lern- und Lebensort, in der die Kinder in einer wertschätzenden und altersgemischten Gemeinschaft ganzheitlich und bedürfnisorientiert leben und lernen können. In einer gleichwürdigen, friedvollen Gemeinschaft werden die Kinder genauso ernst genommen und respektiert wie Erwachsene. Vom Schüler über die Lernbegleiter bis hin zur Putzfrau: Jeder ist Lehrer und Schüler zugleich, denn jeder Einzelne greift auf einen anderen Erfahrungsschatz zurück.
Die Beziehungen sind geprägt von achtsamen Umgang und gewaltfreier Kommunikation.
Einen sehr hohen Stellenwert haben in diesem Zusammenhang die zwischenmenschlichen Beziehungen. Nur wenn alle Beteiligten in einer echten, ehrlichen und gleichwürdigen Beziehung miteinander sind, kann mit Freude und Begeisterung gelernt werden. Somit sehen wir es als essentiell an, auch die grundlegenden Techniken für achtsame und gelingende Beziehungen zu lehren und zu leben. Das von Marshall B. Rosenberg entwickelte Handlungskonzept der Gewaltfreien Kommunikation ist einer der Grundbausteine an unserer Schule. Sowohl Lernbegleiter als auch Schüler und Eltern entwickeln sich kontinuierlich explizit und implizit weiter.
Gleiches Stimmrecht für alle.
Logischerweise haben somit auch die Kinder ein gleichwertiges Mitbestimmungsrecht in allen Punkten, die sie und ihre Schule betreffen. Die Schüler lernen somit von Anfang an, Verantwortung für sich selbst und die Gemeinschaft zu übernehmen und über die Auswirkungen des eigenen Handelns zu reflektieren. Sie erfahren direkt die Grundlagen der Demokratie und dass sie selbstwirksam in dieser tätig sein können.
Offener Unterricht nach Peschel
An der Freien Naturschule Rhön kommt das Konzept des Offenen Unterrichts nach Falko Peschel zum Tragen. Jedes Kind kann im Rahmen des offenen Lehrplans selbstbestimmt und selbstverantwortlich entscheiden, was es wann und wie lernen möchte.
Doch auch die Art des Lernens ist so individuell wie die Menschen. Manche benötigen mehr Struktur und Vorgaben durch die Lernbegleiter, manche brauchen die Freiheit, so viel wie nur möglich selbst zu entscheiden. Durch die intensive Beziehung der Lernbegleiter zu “ihren” Kindern (geplant ist eine enge Betreuung in Kleingruppen) können die Lernbegleiter gut einschätzen, wo, wie und wann sie einwirken sollten, kennen die Interessen, Stärken und Schwächen der Kinder und können diese individuell fördern.
In kontinuierlichen Feedback-Gesprächen zwischen Eltern, Kindern und Lernbegleitern werden der aktuelle individuelle “Leistungs”stand gemeinsam besprochen und neue Ziele gemeinsam erarbeitet. Ein Mentorensystem sorgt darüber hinaus dafür, dass jedes Kind einen von ihm gewählten besonders vertrauten Ansprechpartner hat, der ihm stets liebevoll zugewandt zur Seite steht.
Mit unserem Schwerpunkt „Wildnispädagogik” erhalten und stärken wir die Naturverbundenheit unserer Kinder.
Dies alles stellen wir in den Kontext der Wildnispädagogik. Erfahrungen in und mit der Natur sind ein grundlegendes Bedürfnis der menschlichen Seele und existentiell für eine gesunde körperliche und seelische Entwicklung unserer Kinder. Durch selbst gemachte Erfahrungen entwickeln die Kinder ein Gefühl der Vertrautheit und eine tiefe Beziehung zur Natur. Durch die Verbundenheit zur Natur festigen sie ganz nebenbei die Verbindung zu sich selbst.
Die Natur lehrt uns Achtsamkeit und Wahrnehmung für das eigene Leben, für unsere Mitmenschen, für Tiere, Pflanzen und unbewegte Natur auf dieser Erde. Sie schenkt uns einen kaum mehr vorhandenen Raum für Stille, die unsere Kinder voller Entdeckerfreude und Gestaltungslust erforschen. In der Natur kommen die Kinder ihrem natürlichen Bewegungsbedürfnis nach und entwickeln ein natürliches Körpergefühl. Sie entfalten automatisch ein gesundes Sozialverhalten und lernen in der Gruppe ihre eigenen Potentiale und individuellen Stärken kennen und schätzen.
In einer Welt, in der die globalen Bedrohungen für unsere Umwelt allgegenwärtig sind, in der die Entfremdung von Mensch und Natur ein immer größeres Problem darstellt, sehen wir die Besinnung auf unsere Wurzeln als den besten Ansatzpunkt für ein friedvolles Leben, für die körperliche, geistige und spirituelle Gesundheit unserer Kinder und für die Entwicklung zukunftsfähiger Lösungen an.
„Verbindung bedeutet zu wissen, wann und wo die Brennnessel wächst, wie ihre Wurzel aussieht, was sie über die Bodenqualität aussagt, wie sie im Winter aussieht, was man von ihr essen kann, wie ihre Blüten aussehen, wie man aus ihr Schnüre herstellt, welcher Schmetterling sie bevorzugt, welcher Vogel ihre Samen gerne pickt, wie sie riecht, wie sie klingt wenn ein leichter Wind durch sie hindurch weht, wie die Regentropfen an ihrer rauen Blattoberseite abperlen, was sie für eine Bedeutung für unsere Vorfahren hatte.
Verantwortungsbewusstsein entsteht, wenn wir unsere Mitwesen fühlen, wenn wir sie mit unserem ganzen Sein kennen und erkennen lernen. Aus dieser Beziehung erwachsen ganz selbstverständlich Respekt und Liebe für unsere Umwelt und das Wort Umweltschutz bekommt eine ganz andere Bedeutung.”
Zitat von: http://wildnisschule-hoherflaeming.de/philosophie/ 10.05.2021
Das ausführliche Konzept ist aktuell in Arbeit. Nach und nach werden wir hier sowie im Blog unter „Aktuelles” weitere Inhalte ergänzen und euch berichten, was wir genau vorhaben.
- Konzept Freie Naturschule Rhön Sandberg: Bessi / Pixabay